Post in Holte

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Die geschichtliche Entwicklung der

Post in Holte

bei Rhauderfehn / Ostfriesland

Von Michael Till Heinze, Georg Meinders und Ralf Meinders

 

Die “Gastwirtschaft G. Meinders” gleich neben dem Heuweg, wie sie noch bis zum Jahre 1958 aussah

Die “Gastwirtschaft G. Meinders” gleich neben dem Heuweg, wie sie noch bis zum Jahre 1958 aussah

Der Name Holte ist für ein Dorf nicht ungewöhnlich. Wer in einem Ortsverzeichnis nachschaut, der wird wenigstens zwanzigmal den Namen Holte finden. Überall in Deutschland gibt es einen solchen Ort, und auch in Ostfriesland, genauer gesagt, im Overledingerland haben wir einen solchen Ort namens Holte.

Dieses Bauerndorf, zwischen dem fruchtbaren Hammrich und der sandigen Geest gelegen, hatte früher einmal eine überragende Stellung. In allen Kalendern, die je in Ostfriesland gedruckt wurden, sind die Viehmärkte von Holte aufgeführt. Zudem lag der Ort sehr günstig zum Amt Stickhausen hin. Jeder Overledinger, der irgendwann einmal als noch nicht gemusterter Jüngling, als Steuern zahlender Kaufmann oder als Käufer eines Grunderwerbs etwas mit der amtlichen Bürokratie zu tun hatte, kannte das Amt Stickhausen. Aus diesem Grunde wurden schon bald die ersten Amtsschreiber und Gerichtsdiener in Holte ansässig. Wer öfter auf dem Friedhof Rhaude ist, kennt die beiden Denkmäler gleich am Eingang für den Amtsvogt Johann Enno Stockstrom, gestorben 1850, und den Gerichtsvogt M. F. Stockstrom, gestorben 1882 in Holte.

Holte also war in früheren Zeiten ein weithin bedeutsamer Ort. Noch heute erinnert der Ortsteil Griepenburg an ein frühes zweistöckiges Steinhaus, welches die Ostfriesen „Burg“ nannten, weil es die niedrigen Bauernhäuser überragte. Es soll sogar noch ein zweites Steinhaus in Holte gegeben haben, die Bessembörg, die erstmals dem 1678 verstorbenen Rittmeister Menno Bunger gehörte, dessen Denkmal aus schwarzem Basalt in der Rhauder Kirche hinter der Treppe zum Orgelboden zu sehen ist.

In dieser heut ein wenig verschlafen wirkenden Ortschaft Holte pulsierte einst das wirtschaftliche Leben, als es noch gar kein Westrhauderfehn gab. In Holte gab es vor 200 Jahren mehr als achtzehn Schankwirtschaften – das muß man sich einmal optisch vorstellen! Und damit kommen wir nun zum Thema unseres Berichts, denn eine dieser Gastwirtschaften, die sich bis ins 20.Jahrhundert hinübergerettet hatte, erwarb um 1920 Gerhard Meinhard Meinders aus Tjüche.

Die Bauernfamilie Meinders ist seit 1700 in Lüttjewolde nachweisbar, einer kleinen Ortschaft, die zwischen Ihrhove und Großwolde liegt. Nicht alle Kinder konnten zuhause bleiben, sie mußten in der Fremde ihre Arbeit suchen. So wurde zum Beispiel der o.g. Gerhard Meinders in Weener geboren. Zu seinen Vorfahren gehört übrigens der Müller Geerd Geerds Meinders, der die Ihrener Bockwindmühle betrieb.

Um die Jahrhundertwende zogen die Meinders von Tjüche nach Holte. Hier pachteten Sie zunächst einen größeren Hof. Vater Gerhard Meinders konnte dort später günstig einen Resthof mit Gastwirtschaft von Johann Uden Bunger erwerben. Dieser Gasthof lag mitten im Dorf gleich neben dem Heuweg, unweit dem Gasthof „Zu den fünf Linden“ von Weers bzw. Janssen, heute Röben.

Beide Wirtschaften lagen keine 50 Meter voneinander entfernt! Und doch gab es keinen Konkurrenzkampf. Jeder Gastwirt hatte damals sein Klientel und sein Auskommen. Hier wurden im jeweiligen Clubzimmer oder Saal die jährlichen Feiern der Feuerwehr im Wechsel veranstaltet und niemand versuchte, den anderen finanziell zu schädigen oder auszustechen. Im übrigen fand in Holte immer noch zweimal jährlich ein großer Viehmarkt statt, und hinter der wiederbelebten Gastwirtschaft mit dem neuen Inhaber Gerhard Meinders wurden auch wieder Schafe und Ferkel gehandelt.

 

Heinrich Meinders, Ehemann der Henriette Meinders, geb. Jürgens

Heinrich Meinders, Ehemann der Henriette Meinders, geb. Jürgens

Vater Gerhard Meinders ließ als erstes den alten Gasthof modernisieren: Schon bald brannten dort die ersten elektrischen Lampen, und manche Holter Familie guckte erstaunt auf den neumodischen Schnickschnack, blieb aber weiterhin bei der altbewährten Petroleumlampe. Anfang der dreißiger Jahre übernahm Sohn Heinrich Meinders die Gastwirtschaft von seinem Vater, doch das Holzschild „Gastwirtschaft bei G. Meinders“ blieb hängen. Er heiratete 1937 Henriette Jürgens aus Potshausen, deren Großmutter Trientje Hagedorn mit dem Schiffer und Gastwirt Gerd Hinrichs Hobby verheiratet war und einstmals die Gastwirtschaft in Potshauser-Leyhe betrieb, auf der anderen Seite von Holterbarge.

Bereits 1930 hatte der Holter Manufakturenhändler Thoben angeregt, daß sich der Gemeinderat unter Bügermeister Wilhelm Strenge um eine von diesen neumodischen Landpoststellen bewerben möge. Und tatsächlich wurde der Antrag genehmigt: Holte bekam am 1.Juli 1930 eine Poststelle, die in der Gastwirtschaft Meinders eingerichtet wurde. Heinrich ließ sich durch eine Brauerei eine Außenlampe liefern, auf der nun der Schriftzug „Schankwirtschaft zur Post“ prangte.

Zuerst war das natürlich noch alles fremd, die vielen Briefmarken, die tägliche und wöchentliche Abrechnung, der längliche Landpoststempel (die Briefmarken wurden erst in Stickhausen richtig abgestempelt) und der Kurbelapparat im Flur, mit dem man über die Vermittlungsstelle Westrhauderfehn jedermann anrufen konnte, der auch so einen Telefonapparat besaß.

Aber die Hauptarbeit mußte der Poststelleninhaber Meinders eigentlich als Landzusteller leisten, denn gleichzeitig mit dem Amt bekam er auch die Zustellung für das ganze Gebiet. Wenn also der Postbus aus Stickhausen kam, mußte zuerst einmal die eingekommende Post in die Fächer sortiert werden, und nun erst konnte sich Heinrich Meinders auf dem oftmals beschwerlichen Weg bei Wind und Wetter machen, egal ob Sommer oder im Winter, und die Briefe und Zeitungen austragen. Wenn er dann abends müde und geschafft nach Hause kam, gab es unter Umständen noch ein abendliches Telegramm, das unbedingt noch nach Holterbarge, zur Ceresschule oder ins Kolonistenstück mußte. Da half kein Jammern und Klagen, die Stiefel mußten wieder angezogen und das Telegramm ausgetragen werden.

 

Ab und zu kam es vor, daß auch Henriette Meinders aufs Rad mußte, um noch eilige Sendungen wegzubringen. In der Lampe kann man den Namen “Schankwirtschaft zur Post” lesen.

Ab und zu kam es vor, daß auch Henriette Meinders aufs Rad mußte, um noch eilige Sendungen wegzubringen. In der Lampe kann man den Namen “Schankwirtschaft zur Post” lesen.

Wenn Posthalter Heinrich Meinders auf Tour war und jemand trotzdem einen Brief in die Gastwirtschaft brachte, dann machte Ehefrau Henriette den Postschalter auf, klebte die Marke vorschriftsmäßig auf den Umschlag und drückte den länglichen Landpoststempel „(23) Holte über Stickhausen“ neben die Briefmarke. Zuerst allerdings gab es diesen Stempel ohne (23), aber aus jener Zeit hat der Autor dieses Artikels noch keinen Brief gefunden. Nun kamen die Postleitgebietszahlen, die ursprünglich einmal für den schnelleren Transport der Päckchen erfunden wurden. Unsere Region erhielt die (23), und so hieß der Stempel jetzt „(23) HOLTE über Stickhausen“. Mitte der fünfziger Jahre fand dann eine Organisationsänderung statt. Die Postverteilstelle „Bahnhof Stickhausen“ wurde aufgehoben. Alle Overledinger Poststellen erhielten nun einen Landpoststempel mit dem Zusatz „über Leer“. Nur die beiden Poststellen Holte und Potshausen wurden an die Bahnstation Augustfehn angeschlossen und hieß jetzt „(23) HOLTE über Augustfehn“. Georg Meinders hat im Nachlaß seiner Mutter diesen Stempel wiedergefunden, aber der ist leider so stark abgenutzt worden, daß man heute keinen lesbaren Abschlag mehr herstellen kann.

Eigentlich hätte alles so schön bleiben können: Vater trug die Post aus und Mutter hütete das Haus, die Poststelle, die Kuh, das Schwein, das Schaf und die beiden Söhne – wenn der Krieg nicht gewesen wäre. Im letzten Kriegsjahr 1944 wurde der Gastwirt, Milchkontrolleur und Posthalter Heinrich Meinders aus Holte noch zu den Waffen gerufen. Eines Tages kamen die Feldpostbriefe der Mutter mit dem Stempel zurück: „Vermißt“. Seid dem Frühjahr 1945 galt Heinrich Meinders als im Osten vermißt.

Das Kriegsende in Holte verlief nicht sehr dramatisch. Mutter Henriette war für einen Tag mit den beiden kleinen Jungen zu Berta Buß ins Holter Kolonistenstück geflüchtet, kehrte aber schon am nächsten Tag zurück und vernichtete die überzähligen Briefmarken mit Adolfs Konterfei. Anschließend mußte sie sich erst einmal um den Garten und die Tiere kümmern. Die Poststelle blieb geschlossen bis etwa zum 1.Juli 1945.

Mittlerweile waren auch die ersten Flüchtlingszüge in Westrhauderfehn eingetroffen. In Holte gab es, genauso wie in den anderen umliegenden Dörfern, die Einquartierungen. Auch die „Gastwirtschaft bei G. Meinders“ mußte das Clubzimmer räumen und eine Familie aufnehmen. Viele dieser Flüchtlingsfamilien schrieben Briefe zu Verwandten und Bekannte, um sich zu melden, um andere Verwandte wiederzusuchen, um Briefe zu Kriegsgefangenen zu schicken oder die Behörden mit Anträgen zu traktieren. Die neue, alte Posthalterin Henriette Meinders hatte alle Hände voll zu tun, vor allem, weil es kaum Papier, keine Briefumschläge und oft genug auch keine Briefmarken gab.

Es waren schwere Zeiten für die Kriegerwitwe mit den beiden kleinen Jungen. Gerade sieben Jahre war sie verheiratet gewesen, und nun lastete doppelt und dreifache Verantwortung auf ihr. Die junge Familie, die Post und auch die Gastwirtschaft, alle wollten ihr Recht. Und hinzu kamen die vielen Gespäche am Postschalter mit den Flüchtlingen, mit anderen Holter Frauen, deren Männer ebenfalls vermißt waren und mit ehemaligen Soldaten, die keine Arbeit fanden. Die Posthalterin Henriette Meinders mußte ihr eigenes Schicksal oft hintenanstellen und geduldig zuhören, wenn die anderen klagten. Unermeßliches Leid überkam die Familie aber am 30. Januar 1954. Sohn und Bruder Gerhard verunglückte auf dem Eise tödlich. Wenige Wochen später wäre er 15 Jahre alt geworden.

Das Leben ging weiter. In Holte verließen immer mehr Flüchtlinge das Dorf, die woanders Familienangehörige wiedergefunden hatten. Mittlerweile gab es die kleinen blauen Zwangszuschlagsmarken „Berliner Notopfer“, und Posthalterin Henriette Meinders mußte immer zweimal kleben. Dann kamen die ersten Sondermarken heraus, und ab 1961 hieß es „Vergiß mein nicht – die Postleitzahl“. Holte erhielt einen runden Vollstempel mit der neuen „2951“, die für alle Poststellen im Landkreis Leer galt.

Ein paar Jahre später gab es ein kleines Jubiläum. Der Leeraner Postamtsleiter kam mit einer großen Urkunde, auf der stand:“ Frau Henriette Meinders geb. Jürgens leitet seit 25 Jahren die Poststelle 2951 Holte. Wir danken für die langjährige treue Mitarbeit im Dienst der Allgemeinheit. Leer, den 12.September 1969. der Amtsvorsteher des Postamts Leer.gez. Bull.“ Rein rechnerisch stimmte dies natürlich, denn Frau Meinders hatte die Poststelle offiziel nach Wiedereinrichtung des Postverkehrs in der damaligen Britischen Zone übernommen.

 

Henriette Meinders mit dem Zusteller Christian Feldmann und Catharina Damm als Vertreterin

Henriette Meinders mit dem Zusteller Christian Feldmann und Catharina Damm als Vertreterin

Allerdings brauchte Frau Meinders die Post nicht auszutragen. Dafür waren nach Kriegsende die „Postloper“ Heinrich Bruns und Christian Feldmann zuständig, die lange Jahre bei Wind und Wetter der Bevölkerung allerhand Privat- und Behördenbriefe aushändigten. Nur wenn ganz dringend noch ein Telegramm zuzustellen war, dann mußte Frau Meinders selbst aufs Rad. Dabei ist sie wintertags einmal mit dem Vorderrad in eine gefrorene Wagenfurche gekommen und hingefallen. Die schwere Nierenprellung mußte einige Tage lang im Krankenhaus Leer auskuriert werden.

Zwei Jahre später, im November 1971, wurde Henriette Meinders 65 Jahre alt. Es kamen die hohen Herren aus Leer und überreichten eine Urkunde: „Frau Henriette Meinders geborene Jürgens wird nach Erreichen der Altersgrenze mit Ablauf des Monats November 1971 aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Für die dem Deutschen Volke geleisteten treuen Dienste spreche ich ihr Dank und Anerkennung aus. – Bremen, den 30.November 1971. – Für den Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen – Der Präsident der Oberpostdirektion – Im Auftrage – Unterschrift und Blindsiegel.“.

 

Überreichung der Urkunde im November 1971

Überreichung der Urkunde im November 1971

Von dem Jahre 1937 an, als sie in die „Gastwirtschaft bei G. Meinders“ als junge Ehefrau einzog, bis zu diesem November 1971 hatte Henriette Meinders der Deutschen Post gedient, erst der Reichspost und dann der Bundespost. Danach wurde Johanne Röben als neue Posthalterin in Holte eingesetzt. Die Zustellung von Postsendungen erfolgte aber ab diesem Zeitpunkt von Collinghorst aus. Frau Röben versah in den ersten Monaten noch den Postdienst im 1958 neu erbauten Meinderschen Haus. Aber als nach einigen Umbauarbeiten im Röbenschen Geschäftshaus der Postraum eingerichtet war, wanderte das Postschild 50 Meter weiter zur Dorfmitte. Als Georg und Hanne Röben dann das Geschäft und die Post aufgaben, fand sich Agathe Plaisier, die noch für fast fünf Jahre die kleine Poststelle, nun mit der Postleitzahl 26817 als „Rhauderfehn 7“, übernahm.

Im Juli 1995 wurde auch diese Poststelle endgültig zugemacht, und eine Ära war zuende.

 

MEINDERS